Welche Perspektive nimmst du ein?

   © Lisa Keuerleber, Aloe, 2019, Kohle auf Papier
© Lisa Keuerleber, Aloe, 2019, Kohle auf Papier

In den letzten Wochen nahm ich an einem Zeichenkurs mit dem Thema plastisch-räumliches Zeichnen im botanischen Garten teil.

Abgesehen davon, dass mich Pflanzendarstellungen generell interessieren, fiel mir auch auf, dass ich über das Räumlich-Plastische von Pflanzen noch nie nachgedacht hatte.
Ich kann (zentral-) perspektivisch korrekt zeichnen - wenn es sein muss, sagen wir, bei Gebäuden - fand das aber nie ein besonders spannendes Thema.

 

(Zentral-) Perspektive ist etwas, das viele Leute interessiert. Laien bzw. Hobbykünstler glauben daran zu erkennen, ob etwas "richtig" gezeichnet ist.

Dazu ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Zentralperspektive eine Übereinkunft ist, wie Grammatik, Orthographie, Uhrzeit, Kalender, Breitengrad und dergleichen. Abgesehen von der heute etablierten und am weitesten verbreiteten Zentralperspektive gibt es zahlreiche andere Methoden, räumliche (oder erzählerische) Tiefe zum Ausdruck zu bringen.

Die Zentralperspektive ist eng mit der europäischen Malerei der Renaissance verbunden und hat auch immer etwas von der "Eroberung des Raumes" (die übrigens durchaus zeitlich damit zusammenfiel, denken wir an die Amerikafahrten, rasante technische Entwicklung bis in die heutige Zeit etc.).

Wo die Eroberung stattgefunden hat, ist die Beherrschung nie weit weg. So zeigt sich in der künstlerisch gewählten Perspektive der Blick auf die Welt und mit ihm das Selbstverständnis des Menschen in der Welt (gut erklärt zum Beispiel auf der Webseite von M. Missfeldt). 

 

Zahllos sind die ganz grossen Künstler*innen, die sich nicht besonders um perspektivisch "richtige" Darstellung gekümmert haben, obwohl sie es zweifellos gekonnt hätten (Bonnard, Matisse, Picasso und seine Kubisten-Kollegen, Miriam Cahn, Maria Lassnig und viele mehr).

Das lässt darauf schliessen, dass man mit der zentralperspektivisch "richtigen" Darstellung des Raumes zwar eine optische Illusion herstellen kann, aber dabei doch auch einiges verliert (wie so oft, wenn man an Illusionen festhält): die Beweglichkeit des Betrachter-Standpunktes, die Möglichkeit der Bedeutungsperspektive (in der Wichtigeres  prominenter dargestellt wird), um nur zwei zu nennen...

 

Was ich schlussendlich aus diesem Kurs mitnahm, war das Wort "Luftraum", und "Raumkörper". Mir wurde bewusst, dass ich bisher zwar aus der Übung heraus Räumlichkeit bei Pflanzen wahrscheinlich ungefähr richtig aufs Papier gebracht hatte, aber den Hauptfokus wohl auf Linien, Komposition, Farbe, Textur gelegt hatte.