28 Vögel

Als ich ein kleines Mädchen war, besass mein Vater Schallplatten mit Vogelstimmen. Wenn er ganz vorsichtig den Tonarm auf die erste Rille setzte, knackte es, und dann sangen alle auf der Hülle aufgelisteten Vögel schön der Reihe nach mit einer Pause dazwischen. Ich durfte die Hülle halten und die Namen lesen.

 

"Darf ich mit?" bettelte ich ein ums andere Mal, wenn er erwähnte, am nächsten Morgen um fünf aufzustehen um in den nahen Wald zu gehen und die Vögel zu beobachten und zu belauschen.

Ich glaube, er wäre lieber allein gegangen. Als er mich einmal mitnahm, stolperte ich schlaftrunken hinter ihm her. Er hörte die Vögel, bevor wir sie sahen. Meist waren sie schon aufgeflogen, bis ich seinen Feldstecher an meinen Augenabstand angepasst hatte. War es mir endlich gelungen, die Sehschärfe einzustellen, sah ich Brombeerzweige. 

Seine Frage: "Welcher Vogel ist das?" beantwortete ich vor Aufregung zuverlässig falsch. Prompt konnte ich nicht einmal mehr Buchfinken von Meisen unterscheiden. Ich spürte, dass ich ihn enttäuschte. Vielleicht war ich auch einfach noch zu klein.

 

Trotzdem habe ich Vögel immer geliebt. Ich bewundere ihre Freiheit zu fliegen, wohin sie möchten. Sie sind nicht an die Wege der Nachbarskinder und die Pfade der Katzen gebunden, die meinen Garten durchqueren. Mich erfreuen die Schönheit der Gefieder, die Gesänge, die Zartheit der hellblauen Buchfinkeneier mit braunen Sprenkeln. Ich schätze mich glücklich, auf dem Land zu leben. Täglich grüsse ich die Vögel, die mir begegnen: "Guten Tag, Familie Distelfink! Ich wünsche einen guten Fang, Rotschwanz! Nimm Dich in Acht, Rotkehlchen, wenn Du mit stolzgeschwellter Brust am Boden hüpfst! Lange nicht gesehen, Baumläufer!..."

 

Nur in meinem Kopf, natürlich. Hier auf dem Land muss man ein wenig aufpassen, was für einen Eindruck man bei den Nachbarn hinterlässt. Meines Vaters Feldstecher von der Armee und sein Buch "Die Vögel Europas" sind mehr als fünfzig Jahre später noch immer in meinem Besitz.